Publication date: 07 Dezember 2021 - 08:23

Bei der Untersuchung der Nachtwache wurde unter den Farbschichten des Gemäldes eine nie zuvor entdeckte Skizze gefunden. Zum ersten Mal können wir Rembrandt bei seinen ersten Schritten zur Schaffung dieses Meisterwerks sozusagen über die Schultern schauen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurde die Nachtwache im Rijksmuseum von einem Forschungsteam der Operation Nachtwache mit Hilfe der fortgeschrittensten Imaging-Techniken und Computertechnologie minutiös unter die Lupe genommen und auf diese Weise eine beispiellose Datenmenge zusammengestellt. Damit lässt sich der Herstellungsprozess wesentlich besser nachvollziehen und entsteht ein angemessenerer Einblick in die heutige Beschaffenheit des Gemäldes.

Die Entdeckung der Skizze ist ein Durchbruch in der Forschung. Wir vermuteten immer schon, dass Rembrandt eine Skizze auf der Leinwand angebracht haben muss, bevor er mit dieser enorm komplexen Komposition begann, aber das blieb bislang eine Spekulation. Da wir besser denn je unter die Farboberfläche blicken können, haben wir jetzt den Beweis. Das bietet uns zum ersten Mal tatsächlich Einblick in den Herstellungsprozess. Es ist faszinierend zu erkennen, wie Rembrandt sich auf die Suche nach der richtigen Komposition begibt. Wir haben die Entstehung der Nachtwache entdeckt.

Taco Dibbits, Generaldirektor Rijksmuseum

Die untersten Schichten

Die gefundene Skizze entspricht Rembrandts spontaner Arbeitsweise, die Komposition direkt auf dem Gemälde zu schaffen. Entdeckt wurde die Skizze nun dank der heutigen Forschungstechniken, die noch besser durch die Farbschichten hindurch schauen können. Die von Rembrandt verwendeten Materialien lassen sich jetzt minutiös analysieren. Rembrandt bediente sich einer braunen Grundfarbe und baute die Komposition mit einer grob gemalten Skizze in einer Beigefarbe auf, die viel Kalk enthält. Dass Rembrandt seine Darstellung in solch einer Farbe vorbereitete, wurde bisher auf keinem einzigen anderen seiner Gemälde entdeckt.

Jedes neue Detail bietet uns mehr Einblick in den Schaffensprozess, den Rembrandt durchlief: seine ursprüngliche Idee, seine Gedankengänge und künstlerischen Entscheidungen. Solch eine allumfassende Herangehensweise war vor ein paar Jahren noch undenkbar. Operation Nachtwache hat für die Erforschung der Malerei damit einen neuen Maßstab gesetzt. Dank all dieser Entdeckungen werden wir seine übrigen Gemälde nun auch mit anderen Augen betrachten, weil wir jetzt wissen, wonach wir suchen müssen.

Petria Noble, Leiterin des Ateliers für Gemälderestaurierung am Rijksmuseum:

Änderungen in der Komposition: Federn, Speere und Schwerter

Rembrandt muss lange auf der Suche nach der idealen Komposition auf dem großen Gemälde gewesen sein. Dutzende sogenannter Pentimenti, von dem Maler selbst vorgenommene Änderungen, wurden schon in früheren Studien der Nachtwache gefunden. Dank dem Einsatz der neusten visuellen Techniken haben wir nun noch mehr Entdeckungen gemacht. Jetzt stellt sich heraus, dass Rembrandt anfangs Federn auf den Helm des Schützen Claes van Cruijsbergen setzte, diese aber später wieder übermalte. Bei dem Schützen Rombout Kemp passte er die Position der Beine an. Angesichts der vielen Scans wurde jetzt ein drittes, zuvor gemaltes Bein erkennbar. Zudem gibt es Hinweise für ein zusätzliches Schwert zwischen dem Kapitän und dem Leutnant, und hat sich herausgestellt, dass Rembrandt anfangs noch mehr Speere über die Gesellschaft hinausragen lassen wollte.

Die Beschaffenheit der Nachtwache

Abgesehen von Rembrandts Arbeitsweise bietet die Untersuchung auch viel Einblick in die Beschaffenheit der Nachtwache. An vielen Stellen ist der Zustand der Farbe noch ausgezeichnet, wie beispielsweise in der reich dekorierten Jacke von Willem van Ruytenburch. An anderen Stellen ist das Gemälde abgenutzt, unter anderem aufgrund der vielen Behandlungen, denen die Nachtwache seit dem 17. Jahrhundert ausgesetzt wurde. So hat sich bei Firnisabnahmen in der Vergangenheit möglicherweise an einigen Stellen auch (ein Teil der) Farbe gelöst.

Impasto

In Zusammenarbeit mit den Experten des Hauptpartners AkzoNobel werden unter anderem die Geheimnisse von Rembrandts berühmter Impastotechnik enträtselt: Dicke, in auffallend dreidimensionaler Struktur auf die Leinwand aufgetragene Farbe, die das Licht auf eine einzigartige Weise reflektiert. Mit Hilfe systematisch variierter Farbrezepturen ist es nun zum ersten Mal gelungen, diese Impasto-Farbe mit den Ingredienzien nachzumachen, die Rembrandt zur Verfügung standen, wie Bleiweiß, Leinöl und Hühnereiweiß.

Hündchen

Eine der abgenutzten Stellen auf dem Gemälde befindet sich auf der Höhe des Hündchens. Zu Beginn der Operation Nachtwache wurde vermutet, dass der weiße Schleier in dem Hündchen von einer Kristallbildung in der Farbe ausgelöst worden war. Nach umfassender Forschung stellt sich jetzt heraus, dass durch Verschleiß an dieser Stelle die helle, neu entdeckte Untermalung sichtbar ist. Die Konturen des Hundes sind dadurch nun viel heller, als Rembrandt dies wahrscheinlich beabsichtigt hatte.

Rauchwolke

Ein weiteres Beispiel für den Verschleiß ist die verschwundene Rauchwolke. Auf der Kopie, die Gerrit Lundens zugeschrieben wird, ist aufgrund der abgeschossenen Muskete eine Rauchwolke deutlich sichtbar. Auf der Nachtwache lässt sie sich nur spurenweise wiederfinden. Und so gibt es noch mehr Stellen, an denen die Leinwand verschlissen ist, beispielsweise in der Kleidung von Frans Banninck Cocq, wo kaum noch Detaillierung erkennbar ist.

Verfärbung

Studien haben ergeben, dass die Farbe früher an vielen Stellen viel mehr Farbsättigung hatte. So waren die Bereiche ursprünglich viel blauer, wo Rembrandt das Pigment Smalte, hergestellt aus Kobalt enthaltendem Glas, anwendete. Diese Verfärbung lässt sich auf den natürlichen Degradierungsprozess in der Farbe zurückführen und ist leider unumkehrbar. An manchen Stellen sorgen alte Firnisschichten für einen grauen Schleier. Zudem scheinen alte, nach Rembrandts Zeit aufgetragene Retuschen verfärbt zu sein.

Bleiseifen

In der Nachtwache sind im Laufe der Jahrhunderte tausende kleine Bleiseifen entstanden. Dabei handelt es sich um winzige weiße Pünktchen in der Farbe, die in Gemälden des 17. Jahrhunderts nicht ungebräuchlich sind. An manchen Stellen sind die Bleiseifen aus dem Gemälde gefallen oder wurden von späteren Restauratoren entfernt, wodurch viele kleine Löcher in der Farbe erkennbar sind, z. B. im Gesicht von Frans Banninck Cocq.

Deformationen

Wer jetzt die Nachtwache betrachtet, erkennt in der Leinwand oben links in der Ecke deutlich einzelne Wellen, sogenannte Deformationen. Entstanden waren sie, als das Gemälde zu Beginn dieses Jahrhunderts, während der Renovierung des Philips-Flügels, ausgestellt wurde. Wahrscheinlich wurden diese Verformungen damals aufgrund zu großer Temperaturschwankungen des Ausstellungsraums verursacht. Diese Deformationen erfordern freilich eine sofortige Handlung, lassen sich ohne künftige Risiken aber gut beheben. Deshalb wird die Behandlung am 19. Januar damit eingeleitet, die Nachtwache erneut zu spannen. Anschließend wird Schritt für Schritt ermessen, ob noch weitere Restaurierungsbehandlungen notwendig sind.

Zusammenarbeit

Abgesehen von AkzoNobel arbeitet das Forschungsteam vom Rijksmuseum zusammen mit vielen anderen Parteien, u. a. dem niederländischen Landesamt für Kulturerbe (Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, RCE), der Technischen Universität Delft (TU Delft), Universität van Amsterdam (UvA), den Amsterdam University Medical Centers (AUMC), der Universität Antwerpen (UA), Wageningen University & Research, Technischen Universität Eindhoven, Freien Universität Amsterdam (VU) und National Gallery of Art, Washington DC.

Hauptpartner Operation Night Watch: AkzoNobel

Ermöglicht wird Operation Nachtwache dank der Unterstützung von The Bennink Foundation, C.L. de Carvalho-Heineken, PACCAR Foundation, Piet van der Slikke & Sandra Swelheim, American Express Foundation, Familie De Rooij, Het AutoBinck Fonds, TBRM Engineering Solutions, Dina & Kjell Johnsen, Familie D. Ermia, Familie M. van Poecke, Bruker Nano Analytics, Henry M. Holterman Fonds, Irma Theodora Fonds, Luca Fonds, Piek-den Hartog Fonds, Stichting Zabawas, Cevat Fonds, Johanna Kast-Michel Fonds, Marjorie & Jeffrey A. Rosen, Stichting Thurkowfonds, Familie Van Ogtrop Fonds, Nachtwacht Fonds, Gemeinde Amsterdam und Amsterdam Museum.

Unverzichtbare Unterstützung

Das Rijksmuseum ist für jede Form der Unterstützung dankbar, die es erhalten kann. Staatliche Subventionen, Beiträge aus der Wirtschaft und Fonds, Spenden, Vermächtnisse und Freunde sind und bleiben für das Rijksmuseum unverzichtbar.